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Stadtgeschichte
Eine der beiden Wurzeln der heutigen Stadt Kamp-Lintfort liegt in der wirtschaftlichen und kulturellen Wirksamkeit der Zisterzienserabtei Kamp, deren Pergamenturkunden die ältesten schriftlichen Nachrichten über das Stadtgebiet, seine früheren Bewohner und ihre Siedlungsplätze enthalten. Der Überlieferungstradition zufolge fällt die Gründung des ersten Zisterzienserklosters im deutschen Sprachraum in das Jahr 1123. Der den Mönchen aus dem französischen Morimond durch den Kölner Erzbischof Friedrich I. zugewiesene Ansiedlungsplatz lag "in loco solitario qui campus vulgo dicitur", also in einer einsamen Gegend, die im Volksmund "campus" (Feld) genannt wurde. Auf Kamp gehen ab dem 12. Jahrhundert insgesamt rund hundert Töchter- und Enkelklöster im In- und Ausland zurück.
Kloster Kamp mit Terrassengarten
Die Zisterze auf dem Kamper Berg mit seiner "von Natur schönen Aussicht" entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer der bedeutendsten Kunst- und Kulturstätten am Niederrhein. Im Vergleich zu anderen Zisterzienserklöstern im Erzbistum Köln blieb Kamp trotz aller kriegerischen Ereignisse und Zerstörungen eine vermögende Abtei, die sich ab 1700 voll dem barocken Lebensstil erschließen konnte. 1739 erwarb Abt Daniels vom Kölner Kurfürsten die höhere Gerichtsbarkeit in der Latschaft Kamp. Nach dem zum Teil völligen Wegfall des Chorgebetes an Wochentagen und manchen anderen Neuerungen befand man sich in Kamp gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf dem Weg "zu einem stiftähnlichen Gebilde". Dem zeitgenössischen Betrachter stellte sich die Abtei Kamper "als eine fürstliche Wohnung" dar. Bernhard Wiegels, der letzte Zisterzienserabt, floh bereits 1794 in Anbetracht der heranrückenden französischen Truppen und kehrte nie wieder nach Kamp zurück. Die Aufhebung der Abtei erfolgte am 9. August 1802.
Nach der Säkularisation verblasste Kamp schon bald zu einer Postkutschenstation an der Straße von Rheinberg nach Geldern. Große Teile der früheren Klosteranlage verfielen und wurden abgerissen. Im Jahre 1815, nach dem Ende der französischen Herrschaft am Niederrhein, kamen die Gebiete der gemeinsam verwalteten Bürgermeistereien Kamp, Hoerstgen und Vierquartieren an Preußen. Von 1816 bis 1823 gehörten sie zum Kreis Rheinberg, sodann zum Kreis Geldern (1823 - 1857) und zum Kreis Moers (1857 - 1974).
Zeche Friedrich-Heinrich
Die zweite ortsgeschichtliche Wurzel liegt zunächst tief verborgen unter der Erde und reicht rund 300 Millionen Jahre zurück. 1854 gelang dem Kommerzienrat Franz Haniel bei Homberg die Durchbohrung eines Kohlenflözes, so dass der Nachweis für Kohlenvorkommen am linken Niederrhein erbracht war. Gut 50 Jahre später, am 1. Oktober 1906, gründeten 27 Interessenten in Düsseldorf die deutsch-französische Steinkohlenbergwerk Friedrich Heinrich AG. Kurz zuvor hatten die Erben Viersener Industriellen Friedrich Heinrich von Diergardt das nach ihrem Vater benannte Grubenfeld für 5 Mio. Reichsmark an eine französische Bankengruppe verkauft. Das besondere französische Interesse an den linksniederrheinischen Kohlevorkommen lag darin begründet, dass man in Frankreich zwar über Erz, nicht aber über verkokbare Kohle für die Erzverhüttung verfügte.
Für das abseits der großen Verkehrswege liegende Kamp-Lintforter Gebiet, auf dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur rund 3.700 Menschen lebten, begann die Zeitenwende. Nach dem ersten Spatenstich am 1. Mai 1907 in der "Kleinen Heide", einem Niederungsgebiet in der bis dahin völlig bedeutungslosen Streusiedlung Lintfort, wurde ein Bergwerk mit zwei Schächten realisiert, das zum neuen industriellen Besiedlungskern des 20. Jahrhunderts wurde. Zielstrebig und binnen relativ kurzer Zeit entstanden „mitten im platten Land" Ziegeleien, Werkssiedlungen, Geschäftshäuser, neue Schulen, Sakralbauten, Straßen und Plätze, die bis heute das innerstädtische Ortsbild prägen. Am 1. Juli 1912 konnte die Steinkohlenbergwerk Friedrich Heinrich AG mit jetzt 835 Beschäftigten die Förderung für den Absatz aufnehmen.
Östlich des Zechengeländes und damit in einem von der herrschenden Windrichtung regelmäßig benachteiligten Bereich hatte die Zeche 1909 mit dem Bau einer Bergarbeiterkolonie begonnen. In mehreren Bauabschnitten wuchs eine geschlossene Bergarbeiterkolonie mit 2.300 Wohnungen, einem zentral gelegenen Marktplatz und zecheneigenen Konsumanstalten. Diese 1930 fertig gestellte Siedlung weist deutliche Einflüsse der deutschen Gartenstadtbewegung auf, die das organisch gewachsene Dorf der vorindustriellen Zeit zum Leitbild hatte. Im vom Wetter begünstigten Westen des Zechengeländes entstand eine großzügig konzipierte Siedlung für die leitenden Angestellten oder „Beamten" des Bergwerks.
Zwischen 1906 und 1930 stieg die Einwohnerzahl des noch aus sechs Gemeinden bestehenden Kamp-Lintforter Gebietes geradezu sprunghaft um 494 % von 3.748 auf 22.261 an! Zum 1. April 1934 wurden die bisherigen Ämter Kamp, Hoerstgen und Vierquartieren nach jahrzehntelanger Diskussion zu einer Gemeinde mit dem neuen Ortsnamen „Kamp-Lintfort" zusammengelegt, der mit Urkunde vom 7. Januar 1950 der Status einer Stadt verliehen wurde. Beide Traditionslinien, die 1802 zu Ende gegangene Ära der Zisterzienser und der seit 1906 umgehende Steinkohlenbergbau, haben im Wappen der Stadt ihre angemessene Berücksichtigung gefunden. Zum anderen ergaben sich nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem Hintergrund des von den Kohlenkrisen ausgehenden Anpassungsdrucks mehrere gewichtige Veränderungen. So wurde zunächst die Steinkohlenbergwerk Friedrich Heinrich AG, die 1957 immerhin 8.600 Menschen beschäftigte, Ende 1969 aufgelöst; ihr Bergbauvermögen ging auf die neu gegründete Ruhrkohle AG über. 1977/78 wurde die Kokerei der Lintforter Zeche stillgelegt; weitere Anpassungsmaßnahmen folgten. Das heutige Bergwerk West, zu dem auch die erst 1963 in Betrieb genommene frühere Krupp-Zeche Rossenray in Kamp-Lintfort gehört, zählt nur noch rund 3.800 Beschäftigte. Die Stadt Kamp-Lintfort selbst, als geschlossenes Gemeinwesen erst im Zuge der Industrialisierung entstanden, gehört seit 1975 zum Kreis Wesel und gilt mit ihren rund 40.000 Einwohnern als Mittelzentrum in der linksrheinischen Ballungsrandzone des Ruhrgebiets.
Kontakt
Klüners, Dr. Martin
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